Pornosucht ist ein weit verbreitetes Problem der heutigen Zeit. Waren früher in erster Linie Männer ab 40 davon betroffen, trifft es inzwischen auch immer mehr jüngere Männer, wie Experten bestätigen.
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Pornosucht: Ein Zeichen der Zeit?
Das Internet ist voll von Pornos und bietet eine riesige Auswahl an Sexfilmen zu unterschiedlichsten Erotik-Genres.
Was im ersten Moment vielleicht nicht weiter dramatisch klingt, hat sich zu einem ernstzunehmenden Problem entwickelt. Zwar ist nichts dagegen einzuwenden, hin und wieder einen Sexfilm zu schauen. Doch aus hin und wieder kann schnell mal täglich oder stündlich und aus einer halben Stunde schnell mal zwei, drei, vier oder gar fünf Stunden werden. Und irgendwann kommt man von seinem regelmäßigen Verlangen nach Internet-Pornografie nicht mehr los. Spätestens dann spricht man von einer handfesten Pornosucht.
Nicht nur die ständige Verfügbarkeit von Online-Sexfilmen aufgrund der zunehmenden Digitalisierung der vergangenen beiden Jahrzehnte sind ursächlich dafür, dass das Phänomen Pornosucht immer weiter um sich greift. Auch die aktuellen Umstände der Corona-Krise – Home-Office, soziale Isolation und wenig Freizeitmöglichkeiten – sind ein Brandherd für diese Suchterkrankung.
Heike Melzer, Neurologin und Psychotherapeutin aus München, sagte dazu bei einer Online-Diskussionsveranstaltung des österreichischen Vereins „Safersurfing“: „Es ist viel gefährlicher, wenn von zu Hause aus gearbeitet wird, weil dann das soziale Korrektiv wegfällt und man vielleicht schon während der Arbeitszeit zwischendurch wieder auf die Pornos zurückgreift.“
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Pornosüchtige werden immer jünger
Was auffällt: Pornosucht ist nicht mehr nur ein Problem von Männern ab einem gewissen Alter, von denen sich vielleicht gerade die Ehefrau getrennt hat oder deren Alltag derart stressig ist, dass sie sich zum Ausgleich in die virtuelle Welt der Internet-Pornografie flüchten. Nein, Pornosucht betrifft auch immer mehr junge Männer.
Diese Entwicklung kennt auch Kornelius Roth-Schaeff, Psychiater und Suchtmediziner, der sich seit vier Jahrzehnten mit dem Phänomen Sexsucht befasst. Bei „Safersurfing“ erzählte er: „[…] In den letzten 20 Jahren wurden meine Patienten immer jünger. Das sind Digital Natives zwischen 25 und 30 Jahren, die manchmal schon vor der Pubertät im Internet mit Pornografie konfrontiert wurden.“
Dass viele junge Männer schon in der Pubertät mit Pornoseiten in Berührung kommen und dann sogar noch vor der Volljährigkeit in die Pornosucht abrutschen, kann auch Heike Melzer aus ihrer täglichen Arbeit bestätigen. Sie schildert den Fall eines Patienten, der erst 17 Jahre alt sei und schon mit 11 alles im Darknet gesehen habe, was man hätte sehen können. Was früher Hardcore gewesen sei, sei für ihn heute Blümchensex.
Und das ist kein Einzelfall. Melzer hat noch viele weitere Patienten in Behandlung, die schon früh erste Internet-Pornografie-Erfahrungen gesammelt haben. Zum Beispiel 20-jährige, denen Sexualität in der analogen Welt fremd ist und die unter Orgasmusstörungen leiden oder auf Viagra angewiesen sind. „Die Pornoindustrie arbeitet mit der Pharmaindustrie Hand in Hand“, so Melzer.
Übermäßiger Pornokonsum laut WHO keine Sucht
Laut Studien aus den USA und Schweden sind fünf und acht Prozent der Bevölkerung süchtig nach Sexvideos im Internet. Mehrheitlich handelt es sich dabei um Männer. Nach Angaben des Suchtexperten Michael Musalek, langjähriger ärztlicher Direktor des Anton-Proksch-Instituts in Wien, liege der Anteil sogar bei 75 Prozent.
Kurios: Obwohl sich die Experten einig sind, dass der Konsum von Pornos ein hohes Suchtpotenzial birgt, hat die WHO (Weltgesundheitsorganisation) Pornosucht bislang nicht offiziell als Sucht anerkannt. Lediglich zwanghaftes Sexualverhalten, das den übermäßigen Konsum von Sexfilmen mit einschließt, ist laut WHO seit 2019 als psychische Krankheit klassifiziert. Für viele Experten ein Meilenstein im Kampf um die Anerkennung von Pornosucht als ernstzunehmende Suchterkrankung.