Forscher aus Hamburg haben die erste deutschlandweite repräsentative Studie zur Sexualität Erwachsener durchgeführt. Neben Unterschieden zwischen den Geschlechtern und verschiedenen Altersgruppen stellte insbesondere der Umgang mit gesundheitlichen Risiken (Verhütung, HIV/Aids etc.) einen Schwerpunkt der Untersuchung dar.
Deutschlandweite Untersuchung zu Sexualität und Gesundheit mit rund 5.000 Teilnehmern
Kaum zu glauben: Bis vor kurzem hat es in Deutschland noch keine flächendeckende empirische Untersuchung zu Sexualität von Erwachsenen gegeben. Und das, obwohl es sich dabei durchaus um ein wichtiges, womöglich sogar gesellschaftlich relevantes Thema handelt. Nun jedoch hat eine Forschergruppe des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf unter der Leitung von Prof. Dr. Peer Briken, Dr. Arne Dekker und Dr. Silja Matthiesen zusammen mit dem Sozialforschungsinstitut Kantar und mit Unterstützung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) nach wissenschaftlichen Standards eine solche Untersuchung durchgeführt.
An der repräsentativen Studie zu Gesundheit und Sexualität in Deutschland (GeSiD), bei der die Teilnehmer von Oktober 2018 bis September 2019 in einem Face-to-Face-Interview zu verschiedenen Themen ihrer eigenen Sexualität befragt wurden, nahmen insgesamt 4.955 Personen (2.336 Männer und 2.619 Frauen) im Alter zwischen 18 und 75 teil. Die Auswahl der Studienteilnehmer erfolgte zufällig über die Einwohnermeldeämter.
Ziel der Studie war es, sich einen Überblick über das Sexualleben und Sexualverhalten der Deutschen zu verschaffen, um Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfungen von Geschlechtskrankheiten entwickeln zu können. Es wurden Fragen zum Zeitpunkt des ersten Geschlechtsverkehrs, zur Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs, zu bevorzugten Sexpraktiken und zur Anzahl der bisherigen Sexualpartner gestellt. Außerdem ist die Einstellung zu bestimmten Aspekten des Schutzes vor sexuell übertragbaren Krankheiten erfragt worden, zum Beispiel ob man mit dem Sexualpartner im Vorhinein schon mal über HIV/Aids gesprochen hat, welche Geschlechtskrankheiten einem bekannt sind, wie häufig man in den vergangenen Monaten ein Kondom benutzt hat und warum man womöglich auf den Schutz per Kondom verzichtet hat.
Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs sinkt mit zunehmendem Alter
Die Studienergebnisse zeigen, dass der erste Geschlechtsverkehr in den Altersgruppen bis 65 recht häufig vor dem 17. Geburtstag stattfand – sogar noch bei den über 50-jährigen. So hatten in der Altersgruppe der 18- bis 25-jährigen von den männlichen Befragten 44 % und von den weiblichen Befragten 42 % ihr erstes Mal vorm 17. Geburtstag. Mit 43 % und 49 % sind die Prozentwerte bei den 26- bis 35-jährigen sogar noch ein wenig höher. Aber auch bei den 56- bis 65-jährigen sind die Prozentwerte mit 35 % und 39 % nur minimal niedriger.
Erst bei den 66- bis 75-jährigen ist ein deutlicher Rückgang festzustellen. Mit 20 % (Männer) und 21 % (Frauen) sind in dieser Altersgruppe gerade mal ein Fünftel der Personen vorm 17. Geburtstag sexuell aktiv geworden. Mögliche Erklärung: Die Nachkriegsgeneration wuchs mit anderen gesellschaftlich-kulturellen Werten auf. Deshalb wartete man bis zu seinem ersten Mal etwas länger.
Die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs geht ab Mitte 50 deutlich zurück. So hatten von den 66- bis 75-jährigen 50 % der männlichen und 72 % der weiblichen Umfrageteilnehmer in den vergangenen vier Wochen keinen Sex. Das gilt mit 32 % und 53 % auch für verhältnismäßig viele Personen in der Altersgruppe der 56- bis 65-jährigen. Zum Vergleich: Von den 26- bis 35-jährigen hatten lediglich 22 % (Männer) und 20 % (Frauen) in den vergangenen vier Wochen keinen Sex.
Interessant ist wiederum, dass bei den jüngeren, also bei den 18- bis 25-jährigen, die Prozentwerte mit 37 % (Männer) und 33 % (Frauen) deutlich höher sind. Der Grund könnte ein Wertewandel seit Anfang des neuen Jahrtausends sein (Generation X), der mit mehr sexueller Zurückhaltung und nicht so vielen wechselnden Sexualpartnern einhergeht. Für Personen einer Generation davor, den Millenials, ist Sex womöglich wichtiger.
Auf der anderen Seite sagten aber auch mit jeweils 13 % der männlichen und weiblichen Befragten in der Altersgruppe der 18- bis 25-jährigen und mit 13 % der männlichen und 11 % der weiblichen Befragten in der Altersgruppe der 26- bis 35-jährigen in etwa gleiche viele Personen, dass sie mehr als 10 Mal in den vergangenen vier Wochen Sex hatten. Von den 66- bis 75-jährigen gibt nicht ein einziger der Befragten an, in den vergangenen vier Wochen mehr als 10 Mal Sex gehabt zu haben.
Vaginalverkehr in allen Altersgruppen am beliebtesten
Bei den 18- bis 25-jährigen geben 78 % der Männer und 55 % der Frauen an, dass ihre bevorzugte Sexualpraktik im vergangenen Jahr Vaginalverkehr war. Deutlich dahinter sind mit 64 % (Männer) und 71 % (Frauen) Oralverkehr und mit 18 % (Männer) und 15 % (Frauen) Analverkehr auf Platz zwei und drei gerankt.
In den anderen Altersgruppen sieht es nicht anders aus. Auch dort ist Vaginalverkehr mit großem Abstand die beliebteste Sexualpraktik, gefolgt von Oralverkehr und Analverkehr. Außerdem zeigt sich, dass mit zunehmendem Alter die Experimentierfreude mit sexuellen Praktiken deutlich abnimmt.
Männer gehen offener mit der Anzahl ihrer Sexpartner um als Frauen
Auch nach der Anzahl an Sexpartnern wurde in der Studie gefragt. Ergebnis: Die Altersgruppen der 26- bis 35-jährigen und der 36- bis 45-jährigen waren mit durchschnittlich 12 Sexpartnern bei den Männern und 6,2 Sexpartnern bei den Frauen sowie 13,2 Sexpartnern bei den Männern und 6,4 Sexpartnern bei den Frauen sexuell am aktivsten.
Dass die Anzahl der bisherigen Sexpartner in jüngeren Altersgruppen geringer ist, ist aufgrund ihrer geringeren Lebenszeit wenig verwunderlich. Überdies fällt auf, dass in allen Altersgruppen die männlichen Befragten eine höhere Anzahl an Sexpartnern angegeben haben als die weiblichen Befragten. Laut der Wissenschaftler liege eine durch soziale Erwartungen bedingte Antwortverzerrung vor. Denn: Männer tendieren eher dazu, sich sexuell erfahren darzustellen, Frauen befürchten hingegen, bei einer zu hohen Anzahl an Sexualpartnern negativ beurteilt zu werden.
Verhütung bei älteren Generationen kaum ein Thema
Der Umgang mit sexuell übertragbaren Krankheiten (STIs) ist heute deutlich offener als früher. So haben in der Altersgruppe der 66- bis 75-jährigen von den männlichen Befragten gerade einmal 9 % und von den weiblichen Befragten ebenfalls nur 9 % vorm ersten Sex mit dem Partner über STIs gesprochen, in der Altersgruppe der 18- bis 25-jährigen haben das mit 45 % (Männer) und 42 % (Frauen) hingegen fast die Hälfte der Befragten getan.
Gleiches gilt für ein Gespräch vorm ersten Sex über den Gebrauch von Kondomen. Hier stehen 38 % (Männer) und 37 % (Frauen) in der Altersgruppe der 66- bis 75-jährigen 75 % (Männer) und 74 % (Frauen) in der Altersgruppe der 18- bis 25-jährigen gegenüber.
HIV/Aids ist die bekannteste Geschlechtskrankheit
Wie wichtig Verhütung ist, scheinen viele zu unterschätzen. Das zeigt sich daran, dass HIV/Aids die einzige Geschlechtskrankheit ist, die mit 71,1 % weit mehr als der Hälfte der Befragten bekannt ist. Es folgen Gonorrhö/Tripper mit 38,6 % und Syphilis mit 31,9 % auf den Plätzen zwei und drei. Erschreckend: Chlamydien, genitaler Herpes und Hepatitis B kennt jeweils nur noch knapp jeder Zehnte.
Zudem ist die Bekanntheit von STIs bei älteren Personen durchschnittlich geringer als bei jüngeren Personen. Zum Beispiel kennen nur rund 50 % der 66- bis 75-jährigen HIV/Aids. Von den 18- bis 25-jährigen ist HIV/Aids ganzen 90 % bekannt.
Fast die Hälfte verzichten beim Sex außerhalb der Partnerschaft auf ein Kondom
Safer-Sex ist wichtig – insbesondere bei One Night Stands und Sextreffen mit unbekannten Personen. Umso verblüffender ist es, dass bei beiden Geschlechtern von den befragten Singles jeweils rund ein Viertel angibt, in den vergangenen zwölf Monaten niemals ein Kondom benutzt zu haben. Von den befragten Singles, die immer ein Kondom benutzt haben, ist mit 39 % gegenüber 31 % der Anteil der Männer überraschenderweise deutlich höher.
Von den Befragten, die in einer Beziehung sind, aber trotzdem in den vergangenen zwölf Monaten einen Seitensprung bzw. mit einer anderen Person als dem eigenen Partner Sex hatten, hat ein noch geringerer Anteil Wert auf Verhütung gelegt. Zwar haben 44 % der Männer und 42 % der Frauen manchmal oder häufig ein Kondom benutzt, allerdings haben von beiden Geschlechtern immerhin auch jeweils 44 % immer auf ein Kondom verzichtet.
Interessant: Als Grund für den Kondom-Verzicht geben mit Abstand die meisten an, dass sie und ihr Sexpartner sich sicher waren, gesund zu sein. Auf dem zweiten Platz folgt mit „Sex mit Kondom ist weniger lustvoll“ eine Antwort, die man schon oft gehört hat – aber eigentlich kein Grund sein sollte, die eigene Gesundheit zu riskieren.
Dieses und einige der übrigen Ergebnisse der Studie zu Sexualität und Gesundheit deutscher Erwachsener zeigen, dass zumindest in Teilen noch Aufklärungsarbeit vonnöten ist. Wenn man bedenkt, dass dies die erste deutschlandweite Studie dieser Art war, ist das womöglich auch wenig verwunderlich.